Funktion und Bedeutung
Insgesamt bietet sich ein breites Spektrum der unterschiedlichsten Funktionen und Bedeutungen der Tätowierung. Betrachtet man die in der relevanten Literatur beschriebenen Funktionen als Mitgliedszeichen, rituelles oder sakrales Symbol, Ausdrucksmöglichkeit für Abgrenzung (siehe auch Bourdieu) und Exklusivität, Mittel zur Verstärkung sexueller Reize, Schmuck, Protest (Punk) und nicht zuletzt die der politischen Stellungnahme, so ergeben sich bei genauerem Hinsehen signifikante Übereinstimmungen dieser zunächst recht zusammenhanglos erscheinenden Bereiche.
Mit sogenannten Knast-Tattoos können Rangfolgen und „Kastenzugehörigkeiten“ z. B. durch das Kreuz der Diebe dargestellt werden, sowie Funktionen, die der Häftling während der Gefangenschaft innehatte, wie beispielsweise „Schläger“, „Rowdy“, „Aufrührer“ oder „Boss“. Darüber hinaus gibt es Kennzeichnungen für Mörder oder „Lebenslängliche“, und auch die Meinung zur Justiz bis hin zu offenen Drohungen oder gar erfolgreich ausgeführte Rache können als Tätowierung kundgetan werden. Auch sexuelle Einstellungen lassen sich aus Tattoos herauslesen.
Angaben, in welchen Gegenden man bereits inhaftiert war, die Sehnsucht nach Freiheit oder der Vorsatz auszubrechen sind ebenso Themen wie die Anzahl der abzusitzenden Jahre, beispielsweise in Form von Abbildungen, die dies in der Anzahl der Holzscheite unter einem Feuer oder der Stachel am Stacheldraht zeigen.
Gesellschaftliche Bedeutung [
Besonders deutlich tritt zutage, dass die Tätowierung bei all den beschriebenen Funktionen eine eminent wichtige Rolle bei der Regulierung des sozialen Miteinanders hat. Egal ob es sich hierbei um die Stärkung des Gruppenzusammenhangs, die lebens- und überlebensnotwendige Hervorhebung oder Abgrenzung von anderen Individuen oder die Artikulation von politischer Kritik handelt, wirkt die Tätowierung als Vermittler oder Katalysator zwischen verschiedenen Gruppen und/oder Individuen.
Auffällig ist, dass es sich bei den beschriebenen Bereichen grundsätzlich um Problemlagen oder Situationen handelt, die eine tiefe emotionale, häufig sogar existentielle Bedeutung für das Individuum oder die Gruppe haben. Dieser Umstand beantwortet möglicherweise auch die Frage, warum die hier von der Tätowierung übernommenen Funktionen bis heute nicht durch andere, zeitgemäßere Interaktions- bzw. Kommunikationsmittel übernommen wurden. Kein anderes Medium bietet eine so tiefe physische und psychische Nähe zum Träger/Akteur wie die Tätowierung. So erscheint es nur konsequent, wenn sich die betroffenen Individuen ihrer – oberflächlich betrachtet entgegen aller Opportunität und Vernunft – bedienen. Handelt es sich bei den betreffenden Individuen ohnehin um Personen oder Gruppen, die kein ernsthaftes Interesse – oder keine Hoffnung – auf eine Veränderung der augenblicklichen Situation haben, wird die Wahl einer Tätowierung als adäquates Ausdrucksmittel umso nachvollziehbarer. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Tätowierung auch heute eine, wenn auch nur für eine begrenzte Anzahl von Individuen, wichtige Bedeutung innerhalb der Sozialbeziehungen zukommt. Diese Funktion kann sie nur deshalb erfüllen, weil sie immer sowohl einen intra- als auch einen interpersonellen Charakter hat |
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